Bilder aus dem sozialen Abgrund TARTproduktion zeigt ihr „Pariser Volksstück“ in den Wagenhallen Von Horst Lohr
Stuttgarter Nachrichten, 11. Mai 2011-06-09
Lange bevor die Aufführung beginnt, spielt ein Mann auf einem Keyboard Schuhmanns Träumerei als Endlosschleife. Die kitschige Monotonie spiegelt musikalisch die Befindlichkeit des Personals, das die Gruppe TARTproduktion mit der sehenswerten Inszenierung ihres „Pariser Volksstücks“ vorführt: sechs Menschen im sozialen Abgrund, wo Geldnot und Alkohol die Hausherren sind, kreisen aussichtslos in ihren Träumen vom Aufstieg ins Glück bescheidenen Wohlstands.
Nach Motiven des Romans „Der Totschläger“ von Emile Zola haben Bernhard M. Eusterschulte und Johanna Niedermüller, die Leiter der Gruppe TARTproduktion, einen bissigen theatralischen Vergleich gezogen zwischen den ökonomisch-politischen Umbrüchen im Paris des 19. Jahrhunderts und den gesellschaftlichen Verwerfungen unserer Tage. Die dabei entdeckten Parallelen hielten die beiden Regisseure in bizarren Bildern der Verwahrlosung fest. Die Wäscherin Gervaise (Johanna Niedermüller) klammert sich verzweifelt an ihre Sehnsucht nach der eigenen Wäscherei. Für ihren Ex-Mann Lantier (Bernhard Linke) und ihre neue bessere Hälfte, den spinnerten Bauarbeiter Coupeau (Robert Atzlinger), ist die nichts als willfähriges Objekt, das die beiden materiell und sexuell ausbeuten.
Mit ihrem intensiven Spiel schaffen die sechs Darsteller eine sich ständig verdichtende Atmosphäre der Lähmung. Die in ihr gefangen sind, vegetieren zwischen Bergen von Schmutzwäsche dahin, hängen lethargisch am Tropf der Bierflasche. Und stopfen als Hochzeitsmahl Tüten von Erdnussflips in sich hinein.