Wer weiß schon, was richtig und was falsch ist? „Napoloen Raskolnikow im Schnee“ im Teater Rampe uraufgeführt Von Nicole Golombek


15. Juli 2010

Was ist ein Menschenleben wert? Darf man eine Wucherin töten, um anderen Menschen (vorallem sich selbst) zu helfen? Soll man an Gott glauben? Ist das Gewissen meßbar? Das sind Fragen, an denen Dostojewskis Raskolnikow im Roman „Verbrechen und Strafe“ tödlich scheitert und an denen sich das Ensemble Tartproduktion am Dienstag bei der Uraufführung von „Napoleon Raskolnikow m Schnee“ lustvoll abarbeitet.

Riesenspickzettel erinnern die Akteure an die Gedankenlast, die sie sich teilen. Bernhard M. Eusterschulte, von dem das Konzept auch zum Raum stammt, hat die Zettel im Theater Rampe an eine Wand gepinnt, die in in ihrer Retrotapetenschäbigkeit an eine bizarre Bar erinnert. Hier inszeniert Johanna Niedermüller ein konsequent vielstimmiges Konzert. Sott Roller, Musiker aus Texas, mild-sympatisch lächelnd, trägt ein T-Shirt mit Madonnenaufdruck. Er singt von nicht bereuter Tat und von Gotteserbarmen. Die Stimme des Glaubens wird ergänzt, übertönt, unterbrochen vom dunkel glühenden, auf Russisch liebestrunken röhrenden bulgarischen Schauspieler Georgi Novakov. Der auch mal flämisch sprechende Tänzer Tom Baert drückt Zweifel und Skrupel in zuckenden Bewegungen aus (Choreographie: Nina Kurzeja). Und während Bernhard Linke zuweilen überagierend Popcorn mampft und sich als Zyniker versucht, winkt Schauspielkollege Klaus Gramüller nur noch defätistisch ab.

Das Zappeln, Singen, Dozieren, Streiten, Nuscheln ergibt reizvoll babylonische Verzweiflungsbilder. Was richtig, was falsch ist – keiner weiß es. Endzeitliches wird am Rande des Pathetischen ins Mikro gegflüstert, Nebel wallen. Es gibt keinen Trost, nur konsequenten Zweifel. Und heftigen Applaus für ein lustvoll wildes Gedankenspiel.