KULTUR Stimme und Emotionen "Illegal Lenz " im Theater Rampe Von Dietolf Zerweck


Dezember 2010

„Niemand fragt, woher ich komme und wohin ich gehen werde.“ Der Satz aus Georg Büchners Novelle „Lenz“ könnte auch aus dem Mund eines Illegalen stammen, die im Theater Rampe vor einer grünen Wand ihre Situation als Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland frontal zum Publikum zur Sprache bringen. Doch Björn Bickers Text im ersten Teil des vn Bernhard M. Eusterschulte inszenierten Theaterabends „Illegel/ Lenz“ ist lakonisch, verdichtet, rhetorisch repetiv. Aus den Recherchen und Protokollen mit Betroffenen hat der Dramaturg der Münchner Kammerspiele Monologe geformt, die er 2009 in erweiterter Form als Buch („Wir sind viele. Wir sind da.“) veröffentlicht hat. Im Theater Rampe erscheinen diese Monolge typisiert, verfremdet. Da ist der Ukrainer, der hier von Gelegenheitsjobs lebt und seiner Freundin nachtrauert, die in die Heimat zurückgekehrt ist; die beiden ausgebeuteten Frauen aus Südamerika oder anderswo, die sich mit Prostitution oder als Putzhilfe und Kindermädchen über Wasser halten, aber ihre eigenen Kinder verloren haben; der politische Flüchtling aus Kurdistan, der seine Folter nicht beweisen kann und daher kein Asyl erhält – sie alle treten nicht als Individuen auf, sondern als Schauspieler von Stimme und Emotionen.
Die vier Darsteller vor der Wand, jeder auf sein eigenes, mit Klebestreifen markiertes Geviert begrenzt, machen das virtuos. Besonders Robert Atzlinger, der im Tansitcamp von Calais afrikanische Migranten selbst befragt hat, zeigt die „“neue Angst“ des von der Abschiebung bedrohten Flüchtlings, die sich über die traumatischen Erinnerungen an Verhaftung und Folter in seiner Heimat legt, sehr differenziert. Auch die flippige Aggressivität Mareile Metzners, die stumpfe Wut Johanna Niedermüllers, der raunzige Überlebenswille Nickel Bösenbergs schaffen scharf markierte Positionen, von denen aus die kollektive Sprache Bickers hin und her geht. „Wir arbeiten. Wir wohnen. Sind unsichtbar. Wir scheißen auf eure Gesetze. Die gelten. Nicht für uns. Wenn wir erwischt werden. Wenn wir gehen müssen. Kommen wir wieder. Passt auf. Sind wir schneller wieder da. Passt gut auf. Wir sind viele.“
Gelingt es der Aufführung in diesem ersten Teil, die prekäre Lage illegaler Migranten kunstvoll und ohne Sentimentalität darzustellen, so findet die Regie – außer der Idee, deren Entfremdung und Desorientierung in der Figur Büchners zu spiegeln – keinen Zugang zum Text des „Lenz“. Schon die Besetzung mit einer Schauspielerin ist willkürlich, die Verwandlung der Migranten in eine Art Gartenzwerge mit Perücke ein kabarettistischer Gag. Die junge Katharina Kugel darf, Eiswürfel kauernd, Textfragmente der Novelle aus sich herauspressen, in epileptischen Anfällen auf den Boden knallen, ihre existentielle Angst und radikale Isolation hemmungslos ausspielen bis zum grotesken Schmierentheater. Das Perückenquartett gruppiert sich zu Lenz` naturreligiösen Visionen als Sektierer-Show, im Hintergrund blinken auf einem langen Tisch Lämpchen, manche sind schon erloschen. Aber auch Katharina Kugels Ansprüche aus der bürgerlich reglementierten Waldbacher Welt des Pfarrers Oberlin in ihrer Muttersprache Russisch bringen kein Licht ins Dunkel dieser Performance. Ihr aus Bickers Text hinübergenommener Satz „Ich scheiß auf eure Gesetze“ und Lenz` schlussendlich formulierte Resignation: „Ich werde vernünftig sein wie alle anderen“ – sind nur eine äußerliche Klammer für diese TART-Koproduktion mit dem Theater Rampe.