Irregehen / crazy going
Ein Musiktheater-Projekt von t-art 2005
Autorin: Anne Eusterschulte
Komposition: Nikola Lutz
Regie / Raum: Bernhard M. Eusterschulte
crazy going / Irregehen ist eine literarische Ereignisskizze und vielschichtige experimentelle Dokumentation der in Berlin lebenden Autorin Anne Eusterschulte. crazy going / Irregehen kreist als atmosphärische Langzeitstudie um das Leben zweier Frauen, Mutter und Tochter, einer psychisch labilen Symbiose, zeichnet ein Psychopathogramm aufbrechender Nerven, verzweifelter Ausbrüche, Wortkaskaden, Stimmen, die ein ganzes Haus und seine Wahrnehmung erzittern lassen. crazy going / Irregehen ist eine Introspektion, entwirft eine Innenwelt, die leere Fenster, kalte Wände und anonyme Türen uns in der Regel verschließen - bis die Ambulanz vor dem Haus steht und die beiden Frauen in der Psychiatrie verschwinden und verstummen läßt, um sie Monate später wieder in der Normalität ihrer Wohnung abzusetzen und den zirkulären Gang psychischer Zerrüttung von Neuem anlaufen zu lassen.
Die Komponistin Nikola Lutz und der Regisseur, RaumBildner und Performer Bernhard M. Eusterschulte setzen die literarische Vorlage der Autorin Anne Eusterschulte crazy going / Irregehen für das Musiktheater mit 2 Sängerinnen, 4 live Sprecher/innen / Stimmen um. Schwerpunkt der Auseinandersetzung sind Risse und Frakturen der symbiotischen Mutter-Tochter-Psyche, die eine eigene groteske Welt generiert, um sich gegenüber der Normalität zu behaupten.
Das theater rampe stuttgart ist ein langjähriger Kooperationspartner von TART. Um das Projekt aber auf eine breite Produktionsbasis zu stellen, suchen wir nach Kooperationspartnern, Sponsoren, Förderern und Liebhabern des "Neuen Musiktheaters".
der vil fragt gehet vil irr
(S. Franck, Paradoxa)
Anne Eusterschulte zur Textkonzeption von crazy going / Irregehen
crazy going / Irregehen ist konzipiert als Wort-Klang-Schrei-Komposition, ein Stückwerk für zwei Darstellerinnen und vier Erzählstimmen. Es arbeitet es mit akustischen Ausdrucksmitteln in allen Tonlagen, mit dem dialogischen Lautwerden von Stimmen, raumfüllenden Wortkaskaden, einander überlagenden Arien der Protagonistinnen, atonalen Schwebezuständen, dissonanten Reflexionen. Es erzeugt einen Resonanzraum des wahnhaften Verfolgtseins von Stimmen, Geräuschen, dem Raunen des Gesagten, operiert mit dem schwirrendenden Widerhall von Stimmbewegungen, Wiederholungen, Negation und unkontrollierter Expression.
Die szenische Konfrontation der Protagonistinnen wird von erzählerischen Passagen durchbrochen, die sich als narratives Netzwerk in der Schwebe zwischen sachlichem Situationsbefund und Suggestion ausspannen.
Nikola Lutz zur musikalischen Konzeption von crazy going / Irregehen
Die Klangwelt von crazy going / Irregehen besteht aus einer höheren und einer tieferen Frauenstimme, Live-Elektronik, 8-Kanal-Zuspielungen sowie mehreren Sprechstimmen. Für die Live-Elektronik werden Kontaktmikrofone eingesetzt,
die am Körper der Performer angebracht werden sowie Loopsampler und Effekte. Der menschliche Körper wird die einzige Klangquelle in crazy going / Irregehen darstellen.
crazy going / Irregehen ist eine Untersuchung stimmlich, lauthafter sowie ganz körperlicher Äußerungen in psychischen Extremsituationen. Die Ausformungen von Sprache werden auf ihre psychischen Ursachen zurückverfolgt, ebenso
nimmt crazy going / Irregehen die Wirkung sprachlicher Festlegungen auf die Nicht-Bewegung psychischer Zuständlichkeiten in Augenschein. Die Statik der Dysfunktion erhält im Loop, der die Zeit anzuhalten scheint bis sie sich auflädt, überlädt und schließlich platzt, ihre ästhetische Form. Zuständliche Bewegungen - Körperspasmen –
werden durch Kontaktmikrofone direkt in Klang übersetzt. Die Stimme, ihrer persönlichen Vermittlungsfunktion mit der Außenwelt enthoben, wird zum
Organ akustischer Zuckung, zum vom Gesamtzustand betroffenen beseelten Lautorgan fern nützlichen Gebrauchs und normativer Kommunikation. Mit Hilfe
des Computers werden kleinste Partikel aus Sprache und Lautbildung destilliert, in einzelne Bestandteile zerlegt und reorganisiert.
crazy going / Irregehen ist eine Annäherung an die akustische Lebensform Mensch.
Bernhard M. Eusterschulte zur Konzeption der Inszenierung von crazy going / Irregehen
Im Zentrum der Regie- und Raumkonzeptionen von Bernhard M. Eusterschulte, exemplarisch hierfür ist der 4teiliger Melville-Zyklus, steht die Frage nach dem Prozess, in dem Individuen unter den Bedingungen ihrer Lebenswelt so etwas wie Identität herstellen, in extrema behaupten und gegebenfalls mit ihrem Selbstentwurf scheitern. Die Gründe dafür können vielschichtig sein.
crazy going / Irregehen fokussiert das Leben einer symbiotisch gewachsenen Mutter-Tochter-Beziehung innerhalb einer Hausgemeinschaft, die paradigmatisch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen absteckt für die Legitimation eines Selbstentwurfs in Koexistenz, der selbst schon außergewöhnlich ist. Die symbiotische Zelle, deren Innenleben selbst nicht als spannungslos beschrieben werden kann, strahlt auf das Haus aus, versetzt es in Vibration, akut, bis eine Eindämmung des Unruheherdes „auch zum besseren von Mutter und Tochter“, das heißt bis auf weiteres Einweisung in die Psychiatrie, die Folge ist.
Das Hauptaugenmerk der inszenatorischen Bearbeitung richtet sich nicht auf die Psychiatrisierung oder die psycho-pathologische Störung einer Mutter-Tocher Beziehung, sondern gilt vielmehr den Formen der Artikulation von Identität unter erschwerten Bedingungen.
Das Libretto ist für 3 Euro + Versand erhältlich bei TART Produktion.